2. Sommerschule B/ORDERS IN MOTION
"Grenztheoretische Perspektiven auf gesellschaftliche Ordnungen, Flucht und Migration", Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder)
Vom 23. bis 28. September 2019 veranstaltete das Viadrina Center B/ORDERS IN MOTION seine zweite Sommerschule zum Thema „Grenztheoretische Perspektiven auf gesellschaftliche Ordnungen, Flucht und Migration“
Die Sommerschule wurde mit einem öffentlichen Vortrag am 23. September eröffnet:
Prof. Dr. Matthew Longo (Universität Leiden):
„Beyond Sovereign Exclusion: Progressive Alternatives to the Wall“.
Grenztheoretische Perspektiven auf gesellschaftliche Ordnungen, Flucht und Migration
Die Frage eines angemessenen Umgangs mit Flucht und Migration dominiert die politischen Debatten auf der ganzen Welt. Und im Zentrum der Kontroversen steht die Gestaltung staatlicher Grenzziehungen. Die Dynamiken staatlicher Grenzziehungen und Flucht- und Migrationsbewegungen interagieren in ambivalenter Weise. Politisch-territoriale Grenzziehungen konstituieren, markieren und stabilisieren ökonomisch, sozial und politisch differente Ordnungen, die ungleiche Lebensverhältnisse produzieren können und so Anreize für grenzüberschreitende Wanderungen setzen. Militärische Konflikte um territoriale Grenzverläufe bilden eine zusätzliche Ursache für Flucht und Migration. Staatsgrenzen ermöglichen aber auch das Bestehen friedlicher Ordnungen im Innern - und können Flüchtenden und Migrant*innen zugleich den Zugang zu Schutz und besseren Lebensperspektiven verwehren. Staatsgrenzen sind somit multidimensional. Sie können gleichzeitig trennende und verbindende Funktionen ausüben.
In den politischen Diskursen wird diese Komplexität politisch-territorialer Grenzziehungen unzureichend berücksichtigt. Auf der einen Seite wird die Befestigung von Staatsgrenzen zum populistischen Versprechen auf Schutz der eigenen Bevölkerung vor externen Gefahren und unkontrollierter Zuwanderung. Ein Beispiel war Trumps Plan, den Bau einer Mauer an der Südgrenze mit Mexiko umzusetzen. Und die ungarische Regierung hat die Außengrenze der EU mit einem Zaun befestigt.
Auf der anderen Seite wird darauf hingewiesen, dass die Schließung und Militarisierung der Staatsgrenzen moralisch und ethisch nicht zu rechtfertigende Folgen habe. Tausende von Menschen verlieren ihr Leben beim Versuch, auf der Suche nach Schutz vor Verfolgung oder einem besseren Leben in ein anderes Land zu gelangen.
Ausgewählte Themenstellungen
Die Sommerschule B/ORDERS IN MOTION 2019 befasste sich theoretisch und methodisch vertieft mit Fragen der Auswirkungen staatlicher Grenzziehung auf gesellschaftliche Ordnungen, Flucht und Migration.
Erstens ging es um eine konzeptionelle Bestimmung der Staatsgrenze und ihrer Funktionen als praktisch wirksame Membran, als symbolisches Versprechen auf Ordnung und Schutz, sowie als identitätsstiftende Institution. Wie interagieren diese unterschiedlichen Dimensionen und welche Effekte ergeben sich aus diesen Wechselwirkungen auf die Gestaltung der politisch-territorialen Grenze?
Zweitens wurde die Staatsgrenze mit Blick auf grenzüberschreitende Kooperation betrachtet. Die Europäische Union setzt enorme politische, rechtliche und finanzielle Ressourcen ein, um den Zusammenhalt grenzüberschreitender Euro-Regionen zu erreichen. Diese Verflechtungsräume überlagern nationalstaatliche Kompetenzräume und bilden eigene „spaces of power“. Wie beeinflussen diese veränderten Kontexte die Gestaltung und Wirkmächtigkeit von Grenzen?
Drittens wurden soziale Praktiken des Grenzziehens und Aneignens von Grenzen (anhand von Interaktionen, Narrativen, Materialität u.a.) betrachtet. Gefragte wurde danach, wie und durch welche sozialen Praktiken Grenzen hergestellt, aktualisiert oder auch unterlaufen werden.
Viertens wurden die Status zuweisende Funktion von Grenzen und die damit verbundenen sozialen Positionierungen in den Blick genommen. Da ein Grenzübertritt auch immer mit einer Statusveränderung verbunden ist – z.B. werden Bürger*innen zu Ausländer*innen -, wurde gefragt, wo und wie der Status von Migrant*innen verhandelt wird. Inwieweit gibt dies Rückschlüsse auf die Veränderung der gesellschaftlichen Ordnung und des Grenzregimes?
Und fünftens wurde nach der transformativen Wirkung grenzüberschreitender Flucht und Migration auf gesellschaftliche Ordnungen und politische Grenzziehungen gefragt. Migrant*innen sind keine bloßen Objekte staatlicher Maßnahmen, sondern handlungsfähige Akteure. Welche Auswirkungen haben ihre widerständigen Praktiken auf die Aufrechterhaltung bzw. Veränderung bestehender gesellschaftlicher Ordnungen und Grenzziehungen?