Konferenz „Komplexe Grenzen. Dimensionen – Dynamiken – Technologien“ 03.- 04.11.2016
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Grenzen sind in Anbetracht der zunehmenden Beschleunigung gesellschaftlichen, nationalstaatlichen und kulturellen Wandels von zentraler Bedeutung. Sowohl die ‚Grenze’ als theoretisches Konzept als auch das empirische Forschungsfeld ‚Grenzen’ werden dabei immer stärker als hochkomplexe Gegenstände und Wissenschaftsbereiche wahrgenommen und behandelt. Auch wenn es Bemühungen gibt, systematische Ansätze zur Gestalt von Grenzen zu entwerfen, sind diese bisher nicht hinreichend ausgestaltet oder ausreichend, um aktuelle soziale und politische Herausforderungen sowie Potenziale von Grenzziehungen fundiert bearbeiten zu können.
Die wissenschaftliche Tagung "Komplexe Grenzen: Dimensionen – Dynamiken – Technologien" setzte genau hier an und stellte sich der analytischen Herausforderung, diese weithin postulierte Komplexität systematisch und heuristisch zu umreißen, und dazu sowohl die Vielgestaltigkeit und Dynamik von Grenzbildungsprozessen als auch die konkreten Funktions- und Wirkungsweisen von Grenzen in den Blick zu nehmen. Im Vordergrund stand dabei ein weiter Grenzbegriff, der über eine eindimensionale, insbesondere eine rein räumliche Bestimmung hinausgeht und die Grenze auch in ihrer Zeitlichkeit und Sozialität als Querschnittsthema etablierter Forschungs- und Handlungsräume fruchtbar machen möchte. Eine derartige Auseinandersetzung zielt auf die Identifikation belastbarer, komparativer Analysekategorien, die über reine Problembeschreibungen hinausgehen und der Komplexität von Grenzen und Grenzziehungsprozessen gerecht werden.
Abgeleitet von dem übergeordneten Thema `Komplexität der Grenze´ ergeben sich drei heuristische Anknüpfungspunkte, für deren konstruktive Bearbeitung aus unserer Sicht besonders folgende Fragen relevant sind:
- Das Panel Multidimensionalität von Grenzen und Grenzziehungen beschäftigte sich v.a. mit den Bestimmungsmerkmalen und Attributen von Grenze(n) sowie mit dem Zusammenspiel der vielfältigen Elemente und Eigenschaften von Grenzen. Hier stellten sich u.a. folgende Fragen: Welche Dimensionen und Zustände von Grenzen lassen sich identifizieren? Welche Attribute (räumlich, sozial, temporal etc.) sind zentral für die Beschaffenheit von gegenwärtigen Grenze(n) und Grenzziehungen?Kommt es zur Kumulation oder zur Entkräftung einzelner Grenzdimensionen?
- Das Panel Dynamiken von Grenzen und Grenzziehungen nahm die Prozesshaftigkeit und Eigendynamik von Grenzphänomenen, v.a. Prozesse der Grenzziehung und -auflösung und die Art und Weise der Konstruktion, der Veränderlichkeit und der Relationierung von Grenzziehungen in den Blick. Folgende Fragen waren hier besonders aufschlussreich: Welche Dynamiken der Grenzziehung lassen sich derzeit beobachten? Wie korrespondieren bzw. kollidieren gesellschaftliche, politische oder wirtschaftliche Regime mit der Prozesshaftigkeit von Grenzziehungen? Wie verändert sich die Funktionsweise der Grenze bzw. werden strukturgebende Grenzen aus funktionalen Überlegungen neu gezogen?
- Das Panel Wissenstechniken und Grenztechnologien setzte sich mit verschiedenen Wissenstechniken, die in der Manifestation von Grenzen Anwendung finden sowie die Grenztechnologien, die dabei zum Einsatz kommen, auseinander. In diesem Panel waren vor allem folgende Fragen gewinnbringend: Welche Wissenstechniken und -bestände und welche konkreten Technologien werden genutzt, um Grenzen zu entdecken, zu sichern, zu überwachen und damit aber auch erst hervorzubringen? Welche epistemologischen Grenzziehungen prägen das Denken über Grenzen? Müssen etablierte Kategorien von Grenzen in Hinblick auf neue technologische Zusammenhänge anders gedacht werden?
Die Tagung wurde von der Arbeitsgruppe Grenztheorien organisiert. Diese hat sich 2014 im Kontext des Grenzforschungszentrums Viadrina Center B/ORDERS IN MOTION als ein Zusammenschluss von Nachwuchswissenschaftler*innen der Europa-Universität Viadrina konstituiert, die sich disziplinübergreifend der kritischen Diskussion und Erarbeitung von zentralen Konzepten und Leitfragen der Grenzforschung widmet. Hauptanliegen sind die Konturierung theoretischer Zugriffe auf Grenzen und Grenzziehungen, aber auch eine Auseinandersetzung mit übergeordneten Fragen wie etwa nach dem Mehrwert eines allgemeinen Grenzbegriffs, nach den normativen Implikationen von Grenzforschung oder nach deren methodologischen Konsequenzen.